Vanity Fair Nr. 42 - 11. Oktober 2007

 

 

Die Rolle seines Lebens

 

Vom K�nig zum Retter der Welt: Leonardo DiCaprio, der beste Schauspieler seiner Generation, ist der Vorreiter des neuen amerikanischen Umweltbewusstseins - und macht dabei eine gute Figur

von Adriano Sack und Frances Schoenberger

 

Die beiden k�nnten unterschiedlicher nicht sein, doch jedes Komikerduo lebt ja von seinen Gegens�tzen: Stan Laurel und Olver Hardy, Kermit der Frosch und Miss Piggy, Jack Lemmon und Walter Matthau. Und nun eben Al Gore und Leonardo DiCaprio.

Ein sch�nes Paar. Der eine stammt aus dem amerikanischen Polit-Establishment und hat eine Frau, die zur obersten Tugendw�chterin Amerikas wurde, nachdem sie ihre elfj�hrige Tochter dabei erwischt hatte, wie sie den Prince-Song "Darling Nikki" h�rte. Dank Gores Frau Tipper wird heute auf CD-Covern vor "explicit lyrics" gewarnt.

Der andere hat Hippie-Eltern, wuchs im Armenviertel Los Feliz auf und machte jahrelang mit einer Gang von Freunden, die sich "Pussy Posse" nannte, die Nachtclubs von Los Angeles unsicher.

Was die beiden verbindet: Sie sind nicht unbedingt f�r ihren Humor ber�hmt. Seine h�lzerne Art soll den Demokraten Al Gore im Kampf um die amerikanische Pr�sidentschaft gegen George W. Bush entscheidende Stimmen gekostet haben. Und Leonardo DiCaprio treibt seine Interviewpartner regelm��ig mit strikter Sachbezogenheit ("Der neue Film!", "Die Umwelt!") in die Resignation.

Ihr gemeinsamer Auftritt bei der j�ngsten Oscar-Verleihung aber war ein kom�diantisches Meisterst�ck: Ungef�hr zwei Stunden, bevor Al Gores Klimawandel-Dokumentarfilm "An Inconvenient Truth" ausgezeichnet wurde, kamen der ehemalige Vizepr�sident und der Schauspieler auf die B�hne und verk�ndeten, dass die Oscars nun erstmals offiziell "gr�n" seien. Da die Zeit ja immer knapp ist, verwiesen sie auf die entsprechende Website. Dort k�nne man nachlesen, was dies eigentlich bedeutet. Dann fragte DiCaprio mit gewichtiger Miene, ob Gore nicht noch etwas anderes auf dem Herzen habe. Von seiner eigenen Bedeutung anscheinend tief bewegt, setzte Al Gore zu einer Rede an. In den Wochen davor hatten ihn politische Beobachter im Verdacht, sich doch noch einmal ums Pr�sidentenamt bewerben zu wollen, da er mit seinem Kampf gegen den Klimawandel nun endlich sein Thema und eine v�llig neue Glaubw�rdigkeit gefunden habe.

Er wolle die Stunde nutzen, begann Gore, "um nun endlich offiziell zu erkl�ren, dass..." - alles Weitere ging unter in jenem Tusch, der noch jeden gnadenlos von der B�hne gefegt hat, der sich nicht an den Oscar-Ablaufplan h�lt. Nat�rlich tobte der Saal. Zwar bekamen die versammelten Umweltsch�tzer (die Hybridautofahrerdichte im Kodak Theatre in Los Angeles muss auf Rekordh�he gewesen sein) nicht, was sie wollten: einen gr�nen Kandidaten. Aber die Entt�uschung wurde zu einem guten Auftritt verpackt. Das z�hlt in Hollywood immer noch mehr als das Absenken der Treibhausgase.

Feixend wie zwei Schulljungen gingen die beiden von der B�hne. Al Gore (59) hatte allen gezeigt, dass er sich doch noch locker machen kann. Leonardo DiCaprio (32) dagegen wirkte, als w�rde er sich selbst warmlaufen f�rs Spitzenamt. Spiegelglatt zur�ckgek�mmtes Haar, den Smoking gut ausf�llend, mit jenem Tremolo von Ernsthaftigkeit in der Stimme, wie es nur Politiker beherrschen.

 

Sich �ber das politische Engegagement von Superstars zu mokieren liegt nahe. Sie machen es einem manchmal einfach zu leicht: Angelina Jolie und Madonna entdecken ihr Herz f�r die Dritte Welt in dem Moment, als sie dort Kinder adoptieren wollen. Sean Penn wollte nach der �berschwemmung von New Orleans praktische Hilfe leisten - verbrachte am Ende aber die meiste Zeit damit, sein eigenes leckes Boot leerzusch�pfen. Und Paris Hilton erkl�rte k�rzlich, auch sie "wolle der Gesellschaft etwas zur�ckgeben". Sie werde nach Afrika und Ruanda reisen, um Gutes zu tun.

Das Engagement von Leonardo DiCaprio wurde ebenfalls zuverl�ssig von Spott begleitet. Schon 1998 gr�ndete er die Leonardo DiCaprio Foundation, um das Bewusstsein f�r das damals in den USA v�llig nebens�chliche Thema Umweltschutz zu wecken. Ein Thema f�r die Presse wurde sein Einsatz allerdings erst, als DiCaprio w�hrend der Dreharbeiten zu dem Film 'The Beach' zum Angriffsziel thail�ndischer Umweltsch�tzer wurde. Auf der Insel Phi Phi wollte das Produktionsteam einen Teil des Strandes umgraben und die Vegetation entfernen lassen, um eine Fu�ballszene am Strand drehen zu k�nnen. Letztlich einigte man sich. Und der Hauptdarsteller verteidigte sich: "Wir haben drei Tonnen M�ll von der Insel mitgenommen, und sie sah besser aus als jemals zuvor." DiCaprios Ruf als Umweltsch�tzer aber blieb angekratzt.

Nicht viel besser erging es dem Schauspieler, als er im Jahr 2000 f�r den Sender ABC den Pr�sidenten zu Umweltfragen interviewte. "Wie �berzeugen wir die �lkonzerne, alternative Energiequellen zu erforschen?", fragte er. Oder: "Wie k�nnen wir die Menschen davon �berzeugen, ihre Gel�ndewagen aufzugeben und Autos mit Hybridantrieb zu kaufen? Kann man nicht einfach ein Gesetz erlassen?" Zu naiv, waren sich die Journalisten einig (getrieben von einer leichten Verschnupfung, dass so ein Anf�nger ihnen einen der raren Interviewtermine mit Bill Clinton wegschnappte). Und als er in diesem Fr�hjahr bei den Filmfestspielen in Cannes seinen �kodokumentarfilm 'The 11th Hour' vorstellte, war die wichtigste Frage, wie sich die Anreise im Privatjet mit seinem Engagement vertrage.

"Ich versuche, m�glichst oft mit Linienmaschinen zu fliegen", antwortete der Schauspieler artig. Er kennt das Spiel. Al Gore wurde schlie�lich auch der gro�e, beheizbare Au�enpool im Garten seines Privathauses vorgeworfen.

DiCaprios Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt. Er ist der prominenteste Botschafter f�r Umweltfragen geworden. F�r die "Green Issue" der amerikanischen und nun auch der deutschen 'Vanity Fair' posierte er in Island f�rs Cover (Eisb�r Knut wurde in Berlin fotografiert und -montiert). Seine Homepage hat zwei gleichberechtigte Themen auf: Leonardo, der Filmstar (Kinderbilder, DVDs zum Bestellen, neue Projekte, Dreharbeiten, etc.). Und Leonardo, der Umweltaktivist (seine Reden zum Thema, Verweise auf Partnerorganisationen, Kurzfilme). Im s�damerikanischen Belize will DiCaprio gemeinsam mit der Kette Four Seasons ab 2008 ein �kohotel bauen. Man kann es einfach nicht anders sagen: Der Mann meint es ernst. Als Mahner und Moderator f�hrt er durch 'The 11th Hour' und hat sich daf�r eins der beuligen Jeanshemden angezogen, wie sie auch Gore gern tr�gt: unvorteilhaft, aber garantiert all�renfrei.

 

Es h�tte auch ganz anders kommen k�nnen f�r diesen Jungen. Es schreibt sich so leicht dahin und scheint auch nicht zu seinem s��lichem Gesicht zu passen, aber Leonardo DiCaprio ist der kontroverseste Schauspieler seiner Generation. Er hat mit einigen der besten Regisseure der Welt gearbeitet, war bei der Auswahl seiner Rollen nicht immer treffsicher, aber stets mutig. Er hat eine Hysterie entfacht wie zuletzt vielleicht James Dean. Und er ist regelm��ig verlacht und von den Kritikern zerrissen worden. Sein Fehler: Er war der Hauptdarsteller in dem erfolgreichsten Film aller Zeiten: 'Titanic'. Das hat ihm die Welt bis heute nicht verziehen.

Dabei fing alles so gut an. Nachdem er v�llig angstfrei mit Robert De Niro in 'This Boy's Life' gearbeitet hatte ("Ich hatte 'Taxi Driver' und 'Wie ein wilder Stier' nicht einmal gesehen"), spielte er mit 19 Jahren den zur�ckgebliebenen Arnie in 'Gilbert Grape' mit atemberaubender Intensit�t und einem Charme, neben dem selbst Johnny Depp blass aussah.

Doch anstatt brav weiter schrullige Independent-Filme zu drehen, spielte er Romeo in einem Pop-Remix der "gr��ten Liebesgeschichte der Welt". Als die besorgten Eltern Montague in der Limousine an den sch�bigen Strand von Verona Beach fahren und ihren vertr�umten Sohn in der Ruine eines Theaters im Morgenlicht gr�beln sehen, gelingt dem Regisseur Baz Luhrmann der quintessentielle Blick auf den jungen Schauspieler: die von Liebe umflorte Perspektive auf einen Knaben, der sich entzieht und damit Zuneigung fast unwiderstehlich auf sich zieht. Dann kam 'Titanic', der unselige Ruf "Ich bin der K�nig der Welt!" und die Leomania.

In Interviews weigert sich Leonardo DiCaprio dennoch standhaft, �ber die Schattenseiten des Ruhms zu klagen: die liebeskranken M�dchen, die gierigen Paparazzi, die st�ndige Frage nach Freundin, Ausgehgewohnheiten und wo er die Nacht verbracht habe (war da was mit Demi Moore?). Wenn er keine Aufmerksamkeit ertrage, h�tte er halt nicht Schauspieler werden d�rfen, ist eine seiner Antworten. Eine andere ist: Er hat sein 'Titanic'-Trauma auf sehr intelligente Art verarbeitet. In Woody Allens Film 'Celebrity', einer Art "La Dolce Vita" in einer von Prominenz besessenen Welt, spielt er einen jungen Filmstar: Er verw�stet sein Hotelzimmer, liebt Kokain und Gruppensex, schwadroniert �ber neue Projekte. Es war das genaue Spiegelbild seines eigenen Images. Und das wiederum scheint zeitweise durchaus zutreffend gewesen zu sein.

"Leonardo liebt es zu feiern. Er kommt ans Set, sieht v�llig fertig aus und schl�ft bei Pausen innerhalb von f�nf Sekunden ein", sagte Danny Boyle nach den Dreharbeiten zu 'The Beach'. Eigentlich kein Wunder. Der Mann war 25, die Welt lag ihm zu F��en, und er hatte den H�hepunkt seiner Karriere bereits hinter sich. Also zog er mit Freunden (Tobey Maguire, Mark Wahlberg, dem Zauberer David Blaine) durch die Clubs und schlief mit Models: Amber valetta, Kristen Zang, Gisele B�ndchen. Die Liste ist angeblich noch sehr viel l�nger, aber dar�ber muss man mit Leonardo DiCaprio gar nicht erst zu sprechen versuchen.

Wenn jemand 20 Jahre im Filmgesch�ft t�tig ist, dann hat er ein paar Sachen gelernt. Die vielleicht wichtigste: Er kann den Mund halten. Leonardo DiCaprio ist ein aufmerksamer Gespr�chspartner. Wie jeder Profi hat er seine vorgefertigten Spr�che und Storys, aber er vermag es, seine Gegen�ber in der Illusion zu halten, tats�chlich ein Gespr�ch mit ihm zu f�hren. Eigentlich m�chte man nach einem Gespr�ch mit ihm das Hotelzimmer nie wieder verlassen. Die Themen allerdings, dar�ber gibt es keinen Zweifel, bestimmt er. Die hochgesch�tzten Kollegen, der neue Film und dessen Botschaft. Wenn es privat sein soll, dann gibt es ein paar r�hrende Bemerkungen zu seiner deutsch-st�mmigen Mutter, die er zu offiziellen Anl�ssen gern mitbringt. Eine typische DiCaprio-L�sung: Seinen Familiensinn hat er immer glaubhaft versichert. Und zugleich ist die eigene Mutter die einzige Begleitung, die nicht f�r Gerede sorgen wird.


Leonardo DiCaprio hat die Gabe, der Eleganz von Cary Grant nahe zu kommen. Doch er zieht es vor, finster zu gucken.

Er sei zu sch�n, um als Darsteller ernst genommen zu werden, hie� es immer wieder �ber ihn. Eine erstaunliche Fehleinsch�tzung, denn sch�n im eigentlichen Sinne ist Leonardo DiCaprio nun wirklich nicht. Zwar hat sein Gesicht die Form eines Herzens (oder einer jungen Katze), aber die Nase ist komisch, seine Z�ge sind milchig, er neigt zum Doppelkinn, und sein K�rper ist resistent gegen jede Art von Training. In seinem j�ngsten Film 'Blood Diamond' spielte er einen Diamantenschmuggler in Sierra Leone, einen harten Hund, der ohne zu z�gern zuschl�gt und t�tet. Nicht nur an seinem Akzent (wei�er Afrikaner) hat er gearbeitet, sondern auch an seiner Brustmuskulatur. Trotzdem sieht er aus wie ein Mann, der auf sich achten muss, um nicht weich zu werden.

Das aber sind nur �u�erlichkeiten. Tats�chlich hat Leonardo DiCaprio so hart an seiner Karriere gearbeitet wie wenige. Dummerweise steht er sich mit seiner Sturheit und seinem Ehrgeiz selbst im Weg. Es mag f�r einen Schauspieler ehrenvoll sein, die neue Muse von Martin Scorsese zu sein - und damit der Nachfolger von Robbert De Niro. W�hrend jene aber vor 20 Jahren ein Meisterwerk nach dem anderen drehten, ist Scorsese bisher ein Film komplett missgl�ckt ('Gangs of New York'), einer war immerhin ein Abglanz der fr�heren Gr��e des Regisseurs ('The Departed'), und in 'The Aviator' konnte man allzu genau studieren, was DiCaprios St�rken und Schw�chen sind: Mit den Anfangsjahren von Howard Hughes, als erfolgsverw�hnter Charmeur, Pilot und Studioboss, bringt er die Leinwand zum Strahlen. Wenn er aber dessen Abrutschen in Einsamkeit und Wahnsinn spielt, wird es ein bisschen anstrengend.

Nat�rlich k�nnte er mal wieder eine "Cary-Grant-Rolle" spielen, hat er einmal gesagt und meint: das Leichte, Gef�llige, M�helose. Lieber aber macht er Filme wie 'Blood Diamond', der den B�rgerkrieg in Sierra Leone und die schmutzige Rolle der Diamantenindustrie darin beschreibt. Die politische Botschaft ist hochanst�ndig, aber es nicht mehr als ein konventionelle Abenteuerfilm mit "gebrochenem Helden". Die Folge seiner engagierten Rollenwahl: Leonardo DiCaprio, der gr��te Schauspieler seiner Generation, bleibt meist unter seinen F�higkeiten.

Die letzte wirklich gute Rolle spielte er in Steven Spielbergs federleichter Kom�die 'Catch Me If You Can': ein Betr�ger, der nicht anders kann, weil ihm die Menschen einfach glauben wollen. In solchen Filmen und guten Momenten hat Leonardo DiCaprio die unsch�tzbare Gabe, der Eleganz und Unwiderstehlichkeit von Cary Grant mit heutigen Mitteln nahezukommen. Stattdessen zieht er es vor, finster zu gucken und sich mit einem B�rtchen ein bisschen H�rte stehen zu lassen.

 

Seine wichtigste Rolle aber hat dieser junge Mann offensichtlich in der Politik gefunden. In einer Rede vor Umweltaktivisten erz�hlte er einmal die Geschichte seines deutschen Gro�vaters, der in einer Kohlenfabrik arbeitete und krank wurde, weil der Besitzer sich weigerte, einen Schornstein zu bauen, der hoch genug war, um die Arbeiter zu sch�tzen. Letztlich habe sich der Unternehmer selbst geschadet, so DiCaprio, weil er mit seinem Ru� den ganzen Ort ruiniert habe.

Die pers�nliche Anekdote als Transportmittel der gro�en Botschaft, das wirkt wie aus dem Handbuch der politischen Rede. Nachdem er sich beim j�ngsten Pr�sidentschaftswahlkampf f�r den Demokraten John Kerry einsetzte, h�lt sich DiCaprio diesmal bedeckt. Er wolle erstmal h�ren, welcher Kandidat ein vern�nftiges Konzept f�r den Kampf gegen die globale Erw�rmung habe. "Umweltschutz ist nicht das Thema des Augenblicks, sondern das Thema f�r die n�chsten Jahrzehnte", sagt er. Bei genauer Betrachtung steht ihm das Jeanshemd doch sehr gut.

 

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