Der Spiegel - Nr. 6, 2003

 

"Das H�ssliche unter den Teppich gekehrt"

Leo in Berlin - Januar 2003

Leonardo DiCaprio �ber verdr�ngte US-Geschichte und seine Rolle in "Gangs of New York

Interview: Marianne Wellershoff

 

Mr. DiCaprio, nach Ihrem Erfolg in "Titanic" schimpften Sie, man betrachte Sie nur noch als "Cutie Pie", als Schmalzkringel. Haben Sie sich deshalb f�r die Rollen als gerissener Hochstapler in Steven Spielberg's "Catch Me If You Can" und als R�cher in Martin Scorseses "Gangs of New York" entschieden?

Nein, ich habe mir meine Rollen nie aus stragischen Gr�nden ausgesucht, sondern weil die Figuren mich interessierten. So war es bei "Romeo und Julia", so war es auch bei "Titanic", und der Erfolg zeigt im Nachhinein, dass ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Ich wei�, wer ich bin, und es ist mir egal, wof�r andere mich halten.

Mit welchem der beiden Regisseure haben Sie lieber gearbeitet? Mit Spielberg, der nur acht Wochen Drehzeit ben�tigt, oder mit Scorsese, der insgesamt acht Monate f�r einen unwesentlich l�ngeren Film brauchte?

Das kann ich nicht beantworten. Um eine Basis f�r einen Vergleich zu haben, m�sste ich mit Spielberg ein Epos drehen und mit Scorsese eine Kom�die. "Catch Me If You Can" und "Gangs of New York" sind im Genre einfach zu unterschiedlich, und die Arbeitsweisen der beiden Regissseure sind es auch.

Inwiefern?

Spielberg brauchte f�r eine Seite Drehbuch einen Viertelnachmittag, Scorsese drei Tage. Spielberg wollte eine Minimalmannschaft und sagte, wir haken vier Locations an einem Tag ab. Scorsese musste sich um viel mehr Kulisse und eine viel gr��ere Crew k�mmern.

Definiert das Genre des Films auch das Drehtempo?

Nat�rlich ist "Catch Me If You Can" eine schnelle, leichte Kom�die. Aber Spielberg wollte auch ein Gef�hl vermitteln f�r die wahnwitzige Lebensgeschwindigkeit des Betr�gers Frank Abagnale, den ich in dem Film spiele. Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck: Man hat mich in eine L�wengrube geworfen, und ich muss nun schleunigst einen Weg da heraus finden.

"Catch Me If You Can" l�uft in den USA viel erfolgreicher im Kino als "Gangs of New York". Schuld an dem relativen Flop des Scorsese-Werks sei, so vermuten einige, der grassierende Patriotismus nach dem 11. September. Stimmt das?

Man kann keinen Film mit einem so wichtigen sozialen und historischen Thema machen, der blind patriotisch ist. Wer seine Vergangenhit nicht kennt, kann auch die Gegenwart nicht verstehen. Ich habe bei "Gangs of New York" mitgespielt, um bei einem gro�artigen Projekt dabei zu sein. Scorseses Film ist wie eine Zeitkapsel, er �berdauert die Gegenwart. Ich bin �berzeugt, auch in einer fernen Zukunft wird man sich noch an ihn erinnern.

Wie viel wussten Sie, etwa aus Ihren Schulb�chern, �ber den Krieg zwischen den New Yorkern und den irischen Zuwanderern Mitte des 19. Jahrhunderts, von dem "Gangs of New York" handelt?

Ehrlich gesagt, wuste ich zwar einiges �ber den amerikanischen B�rgerkrieg, aber nichts �ber die blutigen Schlachten im ber�chtigten New Yorker Viertel Five Points. Aber mir ist historisch einiges klar geworden: Wenn Demokratie in den USA funktionieren sollte, dann musste sie zuerst in New York funktionieren. Dort entstand das organisierte Verbrechen, die unteren Klassen entwickelten dort ihr Selbstverst�ndnis und forderten B�rgerrechte, auch mit Gewalt. Five Points war so etwas wie der Unterleib der Gesellschaft. Im Nachhinein bin ich �berrascht, dass nicht nur ich nicht viel Ahnung hatte, sondern kaum ein Amerikaner Bescheid wei� �ber die gr��ten Unruhen in einer amerikanischen Stadt.

Weil sich lieber keiner daran erinnern m�chte?

Ja, es ist dasselbe Elend wie mit der Vernichtung der Indianer: Der h�ssliche Teil der amerikanischen Geschichte wird entweder umgeschrieben und glorifiziert oder unter den Teppich gekehrt. Dabei erz�hlen diese Ereignisse die wahre Geschichte der amerikanischen Demokratie, die Widrigkeiten, die Land und Leute �berwinden mussten. Deshalb finde ich es auch so gro�artig, aus diesem Vers�umnis einen Film zu machen.

Die Dreharbeiten f�r "Gnags of New York" streckten sich �ber acht Monate. Ist das nicht eine viel zu lange Zeit f�r einen Hollywood-Star?

Nein, es war phantastisch, absolut bereichernd. Ich erinnere mich, dass Scorsese zu Beginn des siebten Monats zu mir kam und sagte: "Wir haben das Budget �berzogen, wir sind schon sehr lange hier. Wie f�hlst du dich? Ist alles in Ordnung?" Ich antwortete: "Ich bleibe auch noch ein Jahr, wenn du mich darum bittest."

Es hei�t, Sie h�tten die Szene, in der Sie sich mit Cameron raufen, 17-mal gedreht. Stimmt das?

Ich glaube, 30-mal ist realistischer. Scorsese ist ein Perfektionist. Ich erinnere mich, dass ich zum Set kam und er sagte: "Sie wird dich erschlagen." Ich antwortete: "Klar, dann nimmt die Kamera das im richtigen Winkel auf, und ich drehe schnell meinen Kopf weg", wie man das eben so macht in Filmen. "Nein, nein", sagte er, "wir machen das so: Sie schl�gt dich wirklich ins Gesicht."

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe gesagt: "Oh, okay." Sie hat einen ziemlich harten Schlag. Erst wurde mein Gesicht taub, dann der ganze Kopf gef�hllos, und das macht einem die Sache allm�hlich leichter.

"Gangs of New York" beschreibt die Geburt des modernen Amerika. Ist es die Geburt einer Nation, die besser ist als alle anderen?

Das ist eine Frage, die jeder selbst entscheiden muss.

Und wie haben Sie sich entschieden?

Ich habe von meinen Eltern gelernt, nicht alles zu glauben, was man mir erz�hlt.

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