Planet Movie - Februar 2003

 

Interview mit Leonardo DiCaprio

Interview: Edda Bauer

 

Planet Movie: Du hast ja direkte Wurzeln in Deutschland, wie gut sprichst du nun eigentlich deutsch?

Leonardo DiCaprio: Naja, es geht schon. Als ich kleiner war, ging es viel besser. Heutzutage k�nnte ich keine hochintellektuellen oder politischen Diskussionen f�hren, aber ich k�nnte schon locker zum B�cker gehen und "Br�tchen" verlangen. Als Teenager war Deutschland aber so etwas wie eine zweite Heimat f�r mich und ich war recht oft und sehr gerne hier. Ich glaube, was wichtig f�r mich war, ist die Tatsache, dass ich diese andere Seite der Welt kennenlernen durfte. Ich bin ja in Hollywood aufgewachsen, nachdem meine Eltern sich in New York kennengelernt und beschlossen hatten, im Westen Amerikas eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Aber so glatt verlief der Plan nicht, weswegen mich meine Mutter recht oft zu ihrer Mutter nach Deutschland brachte. Sie wollte einfach, dass ich ihre Wurzeln kenenlerne und damit auch meine Weltsicht erweitere. Und ich habe gro�artige Erinnerungen an Deutschland.

Zum Beispiel?

Ein Gef�hl habe ich nie wieder erlebt, diesen unglaublichen Frieden, wenn ich mit Oma und Opa im Wald Pilze sammeln war. Ich wei�, das ist jetzt total unspektakul�r, aber es war einfach ein wahnsinniges Gef�hl. Jetzt komme ich dazu leider nicht mehr. Meine Oma reist auch �fter nach Los Angeles, als dass ich den Weg nach Deutschland finde.

Wie sehr haben deine deutschen Wurzeln dich eigentlich gepr�gt?

Mir hat es sehr geholfen, zu verstehen, warum meine Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland verlassen hat. Meine Mutter ist diejenige, die meine moralischen Werte gepr�gt hat, und dazu geh�rt zuallererst, dass du dankbar sein musst f�r das, was du hast. Sie hat als Kind eine sehr harte Zeit durchgemacht, sie h�tte den Krieg fast nicht �berlebt und ist sp�ter in den Wirren buchst�blich verloren gegangen. Und obwohl wir in meiner Kindheit in eher �rmlichen Verh�ltnissen lebten, war sie froh, dass wir �berhaupt lebten. Sie lehrte mich auch, dankbar zu sein f�r jede Chance, die sich mir bot und immer noch bietet. Ich hatte so nie die Chance ein verw�hntes, verh�tscheltes Kind zu sein - und dar�ber bin ich sehr froh.

Hat dir diese Einstellung auch in den Zeiten geholfen, in denen sich eine schier unglaubliche Massenhysterie um deine Person aufbaute?

Das "Titanic"-Wunder? Oh Mann, ja das war schlichtweg surreal und hat mich manchmal schon auch w�tend gemacht, denn nach diesem weltweiten Ph�nomen wurde ich nur noch mit dieser Rolle identifiziert. F�r mich war "Titanic" aber nur ein neues Experiment, so wie viele andere Filme auch Experimente f�r mich waren. Ich habe schon so viel mehr gemacht, und ich wollte, dass die Leute das auch sehen. Die Wut von damals hat sich aber gewandelt, vor allem seit ich feststellte, welche M�glichkeiten sich mir im Filmgesch�ft nun er�ffnen, wie etwa "Gangs of New York".

Kann man aus der Geschichte lernen, wenn du "Gangs of New York" betrachtest? Hast du etwas gelernt durch den Film?

Es gab eine sehr ironische Dopplung, w�hrend wir "Gangs of New York" drehten. Im letzten Drittel des Films geht es um Demokratie und um zwielichtige politische Verwicklungen. Wir drehten das just zu dem Zeitpunkt, als die Wahl zwischen Bush und Gore stattfand und pl�tzlich das Wort "Wahlbetrug" die Runde machte. Wir haben den Film ja nicht deshalb gedreht, aber es war fast schon Realsatire, dass es auch heute noch passieren kann, in einer gefestigten Demokratie. Und schlie�lich passierte da noch der 11. September in New York, der viele dazu brachte, nur noch an sich zu denken und zu �berlegen, wie sie sich und gerade noch ihre allern�chsten Verwandten sch�tzen k�nnen. Es scheint fast so, als ob sich die Geschichte wiederholt. Wobei ich hoffe, dass man mit einem Blick in die Vergangenheit auch etwas f�r die heutige Gesellschaft lernt.

Es ist ein sehr gewaltt�tiger Film, in dem Gangs verschiedener Herkunft aufeinander losgehen. Kann man das vergleichen mit den Gang-Kriegen, die im heutigen Amerika auf der Stra�e ausgetragen werden?

Nein, gar nicht. Heute bek�mpfen sich die Gangs um ein Revier. Sicherlich spielte das Revier damals auch eine Rolle, aber vorwiedgend ging es darum, sich das Recht als B�rger Amerikas zu erk�mpfen. Die Demokratie war damals noch sehr jung, und jeder, der als Einwanderer hinzukam, musste sich seine Anerkennung in dieser ganz jungen neuen Welt oft blutig erk�mpfen. Heute leben wir in einer gefestigten Demokratie mit festen Regeln. Die Gewalt heute dreht sich um sich selbst.

Siehst du dich denn in einer Reihe mit Schauspielern wie Robert De Niro, Al Pacino und Dustin Hoffman, die in ihrem Job einfach alles geben?

Was Robert DeNiro betrifft, auf alle F�lle! Also, nicht, dass ich so gut w�re wie De Niro, aber ich m�chte gerne von ihm lernen. Ich bin im Schauspielerberuf aufgewachsen, was mir das Gef�hl gab, als ob ich jeden Tag zur Schule ginge. Ich lernte jeden Tag dazu. Ich ging ja nie in eine Schauspielschule und besuchte auch nie eine andere h�here Schule. Die Sets und die Menschen, die ich dort traf - De Niro, Meryl Streep, Daniel Day-Lewis - waren und sind meine Lehrer, wobei ich durch Erfahrung lerne. Als junger Mann kann man sich ihrer Hingabe an den Schauspielerberuf gar nicht verschlie�en, man kann und will lernen. Gerade Robert D Niro, den ich mit 16 am Set von "This Boy's Life" kennenlernte, hat mir viel beigebracht. Ich wusste gar nichts! Nicht, wie man sich vor der Kamera bewegt oder wie man sich �berhaupt am Set benimmt. Ich wusste nicht, wie man sich auf eine Rolle vorbereitet, ich wusste nicht, wie man einen Satz filmgerecht sagt und von den innenpolitischen Entscheidungen, die das Filmemachen �berhaupt erst m�glich machen, wusste ich schon gleich gar nichts. Dabei reichte es oft genug, De Niro zu beobachten, wie er sich ganz allein in der Ecke eines Raumes auf seine Rolle vorbereitete.

Gerade De Niro ist ein sehr Instinkt-bestimmter Schauspieler. Wie ist das bei dir?

Ganz ehrlich, ich habe nie etwas anderes getan, insofern kann ich es also gar nicht erkl�ren. Eine meiner ersten und liebsten Kindheitserinnerungen ist, als ich vor Leuten irgendwen nachmachte, und dabei gro�en Spa� hatte. Und die Leute hatten ihren Spa� an mir. Die Ironie an der Sache ist ja, dass ich zwar in Hollywood geboren bin, aber mit dem Filmgesch�ft �berhaupt nichts zu tun hatte. Mein Stiefbruder war mal Darsteller in ein paar Werbeclips, aber daf�r wollte mich keine Agentur nehmen. Ich h�tte nie gedacht, dass man mit dem, was einem Spa� macht, auch Geld verdienen kann. Ich nahm dann ein paar ganz, ganz kleine Rollen an, damit ich mir das Geld f�r ein sp�teres Biologie-Studium selbst verdiene. Und pl�tzlich bekam ich mehr Angebote, was mir zeigte, dass ich damit sogar mein Leben bestreiten k�nnte. Ich kann sogar genau sagen, wann ich diese Erkenntnis hatte: Es war ein paar Tage, nachdem ich "This Boy's Life" gedreht hatte und aus dem Nichts gleich zwei Rollen angeboten bekam. Das eine war ein Disney-Film. Das andere war "Gilbert Grape", bei dem man noch �berlegte, ob ich der Richtige sei. Und ich bin das Risiko eingegangen, lehnte die sichere Rolle ab, die mir nicht so gefiel, und legte mich f�r "Gilbert Grape" ins Zeug. Von da an habe ich eigentlich nur noch Filme gemacht, bei denen ich aus �berzeugung ein Teil sein wollte. Als ich das begriffen hatte, bekam ich auch die Rolle in "Gilbert Grape".

F�hrte die Tatsache, dass Robert De Niro dein erster gro�er Filmpartner war, unweigerlich dazu, dass du in einem Film von Martin Scorsese, der ja untrennbar mit De Niro verbunden ist, landen w�rdest?

De Niros hohe Meinung von Scorsese hat sich sicherlich, wenn auch eher damals unbewusst, auf mich �bertragen. F�r mich war von da an klar, dass es eine Ehre ist, in einem Scorsese-Film mitwirken zu d�rfen, vor allem wegen der Erfahrungen, die man an einem solchen Set macht. Was ich nicht wusste, ist, dass De Niro Scorsese schon damals auf mich aufmerksam machte. Es musste also irgendwann dazu f�hren.

Nun kommt ja auch zeitgleich ein ganz anderer Film mit dir in die deutschen Kinos: "Catch Me If You Can" von Steven Spielberg. Du hast inzwischen mit James Cameron ("Titanic"), Scorsese und Spielberg gedreht. Kannst du die Regisseure vergleichen?

Eines mal vorweg, "Titanic" war eine Erfahrung der ganz besonderen Art, die Machart und das, was danach passierte, geh�rt auf ein ganz anderes Blatt meines Filmschaffens. Den Filmemacher Scorsese und den Regisseur Spielberg miteinander zu vergleichen, geht eigentlich nur, wenn man verstanden hat, dass beide genau wissen, wie man �ber Bilder Themen und Gef�hle ans Publikum vermittelt. 95% der Regisseure wissen das n�mlich nicht, wie ich glaube. Aber ansonsten sind Scorsese und Spielberg nicht zu vergleichen.

Und wie sind sie im Umgang mit den Schauspielern?

Stimmt, auch da haben sie etwas gemeinsam, wenn auch jeder auf seine Art. Sie gehen beide sehr respektvoll mit den Schauspielern um. Man f�hlt sich beteiligt am Endprodukt. Ich denke, das hat damit zu tun, dass sich beide immer wieder mit einem neuen Film beweisen wollen. Sie lehnen sich nicht zur�ck und sagen: Hey, ich habe schon alles erreicht. Sie sind mehr wie junge, spontane Filmemacher, die sich mit Eifer in ein neues Projekt st�rzen und am Set ein Team bilden.

Und welcher Flm hat dich pers�nlich mehr beansprucht?

"Gangs of New York". Einfach, weil das eine v�llig andere Welt war, in die ich mich hineindenken musste. Ich konnte auf kaum etwas zur�ckgreifen, das ich schon einmal erlebt oder gef�hlt hatte. Sicherlich kenne ich das Gef�hl der Rache, aber in dem Ausma�, in dem es Amsterdam bef�llt, dass er daf�r sogar t�ten w�rde, hatte ich das nat�rlich nie. Ich hatte auch nie in dem Ma� das Gef�hl, dass die Geschichte �ber mir zusammenbricht. Zu alledem kamen noch die Kost�me und die Sprache, die ich mir antrainieren musste. Wir f�hlten uns alle mehr wie in einem Raumschiff irgendwo verloren in der Zukunft oder wie bei "Uhrwerk Orange" in einer d�steren Vergangenheit. Bei "Catch Me If You Can" ging es mehr um meine spontanen Reaktionen als Schauspieler. Es herrschte eine ganz eigene, fast beschwingte Dynamik am Set, wo ich nur noch instinktiv meine Rolle spilte. Spielberg wollte ja auch einen schnellen, leichtf��igen Film, was wiederum an der Figur des Scheckbetr�gers Frank Abagnale liegt, der ja wirklich ein Leben f�hrte, in dem er zackig und spontan reagieren musste, um nicht von der Polizei geschnappt zu werden. W�hrend ich mich bei Spielberg in einen Menschen hineinversetzen musste, galt es bei Scorsese, die Welt der "Five Points", der Gangs, der Vergangenheit zu verstehen. F�r letzteres brauchte ich fast ein Jahr.

Du wirst als n�chstes wieder mit Scorsese drehen, aber Ger�chte gehen um, es sei noch nicht entschieden, ob es um Alexander den Gro�en oder um den legend�ren Filmproduzenten Howard Hughes gehen wird.

Also, ich wei� nur von dem Film �ber Howard Hughes. Der wird "The Aviator" hei�en, ich habe mitproduziert und die Dreharbeiten sollen im Mai anfangen.

Bereitest du dich schon auf diese Rolle vor?

Ich bin dabei. Aber das bin ich schon sehr lange, eigentlich seitdem ich mit 18 seine Biografie gelesen habe. Ich fand sein Leben zwischen Flugzeugen und Fuilmen so spannend, dass ich mir sofort die Filmrechte sicherte, als ich das Geld dazu hatte. Ich kam dann mit Michael Mann wegen der Verfilmung ins Gespr�ch. Der schrieb zusammen mit John Logan ("Star Trek: Nemesis") am Drehbuch. Aber nachdem Mann mit den Drehrbeiten zu "Ali" fertig war, konnte er wohl keine Biografien mehr sehen. Ich drehte zu der Zeit gerade mit Martin Scorsese, der das Drehbuch einfach gro�artig fand. So kam eines zum anderen.

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