GQ - Februar 2009
Mitten im Gespräch verliert Leonardo DiCaprio dann doch ein wenig die Fassung. Gerade wollten
wir von ihm wissen, wieviel er noch mit dem Jungen gemein habe, der Anfang der 90er in
'This Boy's Life' und 'Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa' mit der Eroberung Hollywoods begann.
Und weil ihm spontan keine rechte Antwort einfällt, erinnern wir ihn scherzhaft an unser erstes
Interview. Ein bemerkenswertes. Damals, am Rand des Filmfests in München im Sommer 1995,
ließ er lieber verkatert und mit formvollendeter Teenager-Renitenz die Beine über die Stuhllehne
Bauneln, als über seine Arbeit zu sprechen.
Wie peinlich !", entfährt es DiCaprio, während er kurz den Kopf schüttelt, um
augenblicklich wieder Herr der Situation zu sein, indem er feststellt, gelegentliche
Disziplinlosigkeiten gehörten zum Erwachsenwerden nun mal dazu. Seine Stimme ist ruhig, und
der Blick zu den meist zu Schießscharten verengten Augen fest, wenn er seine Worte wählt.
Das Gesicht mag die pausbäckigen, jungenhaften Züge des Herzensbrechers noch nicht vollständig
verloren zu haben, der 'Titanic' 1997 zum Status des erfolgreichsten Films aller Zeiten verhalf.
Doch ohne jeden Zweifel ist der Weltstar, den alle nur Leo nennen, mit seinen nunmehr 34
Jahren auf höchste Seriosität und Selbstkontrolle bedacht, wenn er öffentlich in Erscheinung
tritt.
Jedes einbzelne seiner streng zurückgegelten Haare sitzt, und kein Fältchen verunziert den
schwarzen Maßanzug, als er in einer Suite des New Yorker Hotels 'Walsdorf Astoria' zum
exklusiven GQ-Termin Platz nimmt. Nach langjähriger Zusammenarbeit mit Regisseur Martin
Scorsese, den er als künstlerischen Paten verehrt wie niemanden sonst, scheint auch in DiCaprio
Habitus Früchte getragen zu haben. Er atmet regelrecht Gravität, ist eher Profi als Star
und zeigt im Interview keine Spur von Inszenierung.
Die Kunst hebt er sich für die Kamera auf. Sein Nahost-Thriller 'Der Mann, der niemals lebte'
ist kaum in den Kinos, da folgt DiCaprio bereits in der Literaturverfilmung 'Zeiten des Aufruhrs'.
Regisseur Sam Mendes ('American Beauty') zeigt hier mit schonungsloser Intensität die
Anatomie einer kollabierenden Ehe im Amerika der 50er Jahre. Ein Beziehungsdrama in bester
Tennessee-Williams-Tradition und zugleich ein klassischer Schauspielerfilm, für den DiCaprio
seine vierte Oscar-Nominierung nicht zu nehmen sein dürfte - und in dem er elf Jahre nach
'Titanic' erstmals wieder gemeinsam mit Kate Winslet agiert.
Leonardo, Fans in aller Welt sehnen seit elf Jahren Ihre Leinwand-Reunion mit Kate Winslet
herbei. Warum haben Sie sich soviel Zeit gelassen?
Wir sind seit der Arbeit an 'Titanic' enge Freunde und haben lange nach einem neuen
Projekt gesucht. Zugleich war uns klar, dass wir bei der Wahl vorsichtig sein müssen, weil
Vergleiche unvermeidbar sind - ein Phänomen wie 'Titanic' ist nicht wiederholbar, selbst
wenn man es darauf anlegte. Zugleich war der Film sowohl für Kate als auch für mich die große
Ausnahme. Vorher wie nachher neigten wir immer zu Charakterrollen - und wollten damals nur
zufällig zur gleichen Zeit eine Blockbuster-Produktion ausprobieren. 'Zeiten des Aufruhrs'
ist als Gegensatz perfekt. Ein Stoff wie aus dem Theater, die Antithese zur großen Schmonzette.
Zur reinen Liebe, wie sie 'Titanic' repräsentiert, verhält sich das Paar in 'Zeiten des
Aufruhrs' diametral. Diese Figuten sind wie zwei aufeinander zurasende Züge und eher dazu
geboren, nicht miteinander glücklich zu werden.
Was reizte Sie an der Figur eines Ehemanns und Vaters, der an seinen Ambitionen scheitert?
Das Buch von Richard Yates erschien ungebrochen modern und progressiv - obwohl die Story
in den Fifties spielt, als das ikonografische Bild der amerikanischen Idealfamilie geschaffen
wurde, die in den Suburbs lebt und einen weißen Zaun im Vorgarten hat. Doch es geht um
Unsicherheiten in Partnerschaften, die bis heute jeder kennt. Und die nagende, unsichere
Stimme im Hinterkopf, die uns fragen lässt, ob man ein guter Partner ist und in einer
Beziehung seinen Pflichten gerecht wird.
Klingt, als sei Ihnen diese Stimme nicht unvertraut.
Selbstzweifel sind universell, aber meine privaten Verhältnisse sind hier nicht von Belang.
Mich faszinierte die Aufgabe, einen Mann zu spielen, der von seiner Frau eigentlich nur
einen Klaps auf die Schulter möchte. Er kämpft um Anerkennung, aber stattdessen wird ihm
dauernd signalisiert, dass er nicht gut genug ist, so sehr er sich bemüht. Es gibt nicht
wenige solcher Beziehungen, in der beide Partner so narzisstisch mit der Suche nach ihrem
Glück beschäftigt sind, dass sie komplett aneinander vorbeieilen. Und nachdem meine Rollen der
letzten Jahre zumindest teilweise heldenhafte Züge hatten, war es sehr reizvoll, einen Mann
zu verkörpern, der so gar keine Größe hat und den die Monotonie seiner Existenz langsam
auffrisst.
Was macht Ihre Leinwandchemie mit und Ihre Freundschaft zu Kate Winslet aus?
Vertrauen. Wir waren einander schon sehr ähnlich, als wir uns das erste Mal trafen, wir
hatten den gleichen Humor und wir mochten dieselben Filme. Das allein ist viel wert. Aber
nachdem wir zusammen neun Monate knallharte Dreharbeiten von 'Titanic' überstanden und den
folgenden Trubel erlebt hatten, waren wir förmlich miteinander verschweißt. Man bekommt im
Leben nicht oft Bindungen geschenkt, in denen man sich ohne Worte versteht und miteinander
wachsen kann.
Wie haben wir uns das vorzustellen? Geben Sie sich gegenseitig Ratschläge bei der Rollenwahl?
Da gibt's keinen Automatismus. Als enge Freunde reden wir auch nicht permanent über die
Filmbranche. Unsere Antennen sind eher unsichtbar ausgefahren für den anderen, weil wir
ähnliche Entwicklungen durchmachen und identische Ziele haben. 'Titanic' gab uns die rare
Möglichkeit, Kontrolle über unsere Karrieren zu gewinnen und an unseren Erfahrungen zu reifen.
Beim Dreh von 'Zeiten des Aufruhrs' konnten wir nur so brutal ehrlich aufeinander losgehen,
weil wir genug gegenseitiges Vertrauen hatten, um keine Verletzungen befürchten zu müssen.
Ich hätte diesen Film mit keiner anderen Kollegin drehen können. Kate ist und bleibt die
beste Schauspielerin ihrer Generation.
Weitere bekannte Personen in Ihrem engerem Zirkel?
In beruflicher Hinsicht fraglos Martin Scorsese. Ich kann mein Glück bis heute nicht fassen,
so oft mit dem Mann zu arbeiten, wegen dessen Filmen ich überhaupt erst Schauspieler geworden
bin. Von ihm lerne ich mehr über die Filmkunst als an jeder Universität.
Besteht das Lehrer-Schüler-Verhältnis selbst nach vier Filmen noch, oder kracht es auch mal,
weil Sie völlig anderer Meinung als Scorsese sind?
Für den höchst unwahrscheinlichen Fall dass ich bei den Dreharbeiten komplett anderer
Auffassung als Mr. Scorsese bin, würde ich ihm höchstens in einem ruhigen Gespräch in der
Ecke meine bescheidene Perspektive darlegen. Krachen könnte es niemals. Er ist der Chef,
un seine Meinung ist am Ende immer Trumpf.
Wie wichtig sind Ihre Eltern?
Ich treffe bis heute keine wichtige Entscheidung, bevor ich nicht ihre Einschätzung gehört
habe. Es war meine Mutter, die einst auf die Wünsche eines Zwölfjährigen hörte, und die mich
jahrelang klaglos von einem Castingtermin zum nächsten fuhr. Und mein Vater hat mich immer
auch in geschäftlichen Angelegenheiten beraten. Spielte es eine Rolle, dass sie geschieden
waren? Nein, das änderte nichts an ihrer Liebe und Unterstützung.
Sie wussten wirklich schon als Kind, dass Sie Schauspieler werden wollten?
Eher als Jugendlicher, würde ich sagen. Die Ironie meiner Herkunft ist ja, dass ich zwar
im Bezirk Hollywood und damit im symbolischen Herzen der Filmindustrie aufwuchs, aber mir das
Schauspielervirus erst als Heranwachsender fing und vorher gar nichts mit der Branche zu tun
hatte. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, den Hunger nach diesem Job zu verlieren.
Spätestens, als ich die großartigen Filme der 70er sah - 'Taxi Driver', 'Apokalypse Now',
all die Klassiker eben -, da erfasste mich dieses Fieber, und ich schwor mir: Wenigstens
einmal im Leben willst du auch an so etwas teilhaben und eine solche Leistung bringen ! Ich
weiß, dass ich selbst dann nichts anderes tun werde, wenn mich kein Regisseur der Welt mehr
anheuern will. Dann drehe ich halt mit meinen Freunden privat und ohne Budget Filme.
Kann man sagen, dass Ihre Laufbahn generell einer gewissen Planung unterliegt?
Ich würde es sogar als eine meiner eklatanten Schwächen bezeichnen, dass ich vor
Rollenentscheidungen ewig lang Optionen hin und her wälze und wegen dieser Zögerlichkeit
viel Zeit verschwende.
Sind Sie ein notorischer Bedenkenträger?
Kann man so sagen, andererseits lief es bisher ganz ordentlich, und vielleicht brauche
ich ja diesen Modus Operandi, um zu funktionieren [lacht]. Wie auch immer,
jede Planung kann eh nicht weiter als bis zum nächsten, vielleicht übernächsten Film reichen,
weil sich Geschäft und Geschmäcker so rasant verändern. Derzeit befürchte ich, dass Produktionen
mit mittelgroßen Etats wie 'Zeiten des Aufruhrs' wegen der Wirtschaftskrise und austrocknender
Finanzierungen zu verschwinden drohen. Um Risiken zu minimieren, wird Hollywood nur noch in
extrem teure, aufwendige und über ihren Event-Charakter quasi vorverkaufte Filme invertieren.
Oder in Independent-Stoffe, die so wenig kosten, dass man mit ihnen kaum Geld verlieren kann.
Sie haben sicher vor, dieser Entwicklung mit Ihrer Produktionsfirma Appian Way gegenzusteuern.
Nach Möglichkeit, klar. Sicher ist nur, dass ich den Trend nicht allein stoppen kann und
die Schauspielerei mein Hauptjob bleibt. Ich bin zum Produzieren oder gar zur Regie nicht
geschaffen, weil ich Kontrolle über meine Arbeit brauche und in anderen Feldern zu viel
Verantwortung delegieren müsste.
Woher dieser ständige Kontrollwunsch?
Keine Ahnung, ich versuche mich nicht auch noch endlos zu analysieren. Wahrscheinlich ist
es eine Mischung aus persönlichem Ehrgeiz und grundsätzlicher Liebe für das Kino. Für mich
sind Filme tatsächlich Kunst und kein purer Kommerz. Und auch wenn dieses wundervolle Medium
im Gegensatz zur Malerei und Bildhauerei historisch noch in den Kinderschuhen steckt, so
möchte ich doch daran teilhaben, etwas zu erschaffen, was man für zukünftige Generationen in
eine Zeitkapsel stecken kann.
Um zukünftige Generationen geht es auch bei Ihrer zweiten Leidenschaft, der für die Umwelt.
Erinnern Sie sich noch, wann und wie sie entstand?
Dieses Interessse kam noch vor der Schauspielerei, denn als Kind schwamm ich so gern im
Ozean herum, dass Meeresbiologe mein erster Berufswunsch war. Dazu hat es leider nicht
gelangt. Aber mein Interesse am Umweltschutz ist zweifellos so ausgeprägt, dass es als
inoffizieller Zweitjob gelten könnte. Ich spreche nur in der Presse nicht mehr gern darüber.
Warum?
Weil mir bewusst geworden ist, dass es im ungünstigsten Fall sogar die gegenteilige
Wirkung erzielen kann, wenn ich die Vorzüge von Hybridautos und Solarenergie herunterbete.
Das kann auf Leute predigerhaft wirken, die sich nicht von irgendwelchen Schauspielern
belehren lassen möchten oder beispielsweise nicht über die finanziellen Möglichkeiten
verfügen, ihre Autos gegen umweltfreundliche Modelle umzutauschen. Das ist mir alles klar.
Und ich möchte gewiss niemandem vorschreiben, wie er zu leben hat, sondern nur Aufmerksamkeit
für ein Thema erzeugen, das uns alle angeht. Meine Person ist dabei irrelevant. Ich mache
schlicht und einfach Publicity für unseren Planeten.
Von wegen Publicity - anders als vor Jahren tauchte Ihr Name zuletzt kaum in der Klatschpresse
auf.
Psssst, sagen Sie das nicht zu laut !
Nach all dem Stress mit 'Zeiten des Aufruhrs' muss Ihnen doch nach Abwechslung zumute sein.
Keine Pistengänge mehr wie früher? Oder gibt's am Ende eine neue Frau in Ihrem Leben?
Wissen Sie, warum die Yellow Press mich links liegen lässt? Weil ich für die ein alter
Hut bin. Und ich liebe es so ! Ich mag's nun mal nicht, wie die Paparazzi sich benehmen;
ich finde ihre Art, Fotos zu machen, respektlos und gefährlich. Seit langem versuche ich
zu verhindern, dass andere mit meinem Privatleben Reibach machen. Wie es scheint, bin ich auf
einem ganz guten Weg.
Okay, zurück zu den großen Themen: Was erhoffen Sie in puncto Umweltpolitik von Barack Obama?
Lassen Sie mich zunächst sagen, wie überglücklich ich angesichts seiner Wahl bin und wie
durchweg vertrauenserweckend auf mich seine ersten Entscheidungen wirkten, etwa bei der Wahl
seiner Kabinettsmitglieder. Man kommt sich zuweilen vor, als wäre man aus einem Albtraum
erwacht.
Für die Umwelt waren acht Jahre Bush acht Jahre vergeudete Zeit und verschenkte Chancen.
Es gab zwar Männer, die auch in dieser Zeit wichtige Veränderungen angeschoben haben, etwa
Al Gore. Doch Barack Obama ist der erste amerikanische Führer, der die Dimensionen der
Umweltzerstörung erkannt hat und das Thema ernst nimmt. Ich persönlich setze viel Vertrauen
in seine Ankündigung, die Entwicklung alternativer Energien in den USA massiv voranzutreiben.
All das wird Zeit und die Unterstützung jedes Einzelnen brauchen. Doch Obama rechtfertigt
zweifellos allergrößte Hoffnungen, und es tut gut, wieder den Geist des Idealismus zu
spüren.
Werden Sie seinber Amtseinführung am 20. Januar in Washington beiwohnen?
Bislang habe ich noch kein Ticket. Aber ich kenne vieleicht jemanden, der jemanden kennt,
der vielleicht eine Karte besorgen kann.
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