Sueddeutsche Zeitung - 14. Febraur 2003
Der Sonne so nah
Er hat sich gr�ndlich ver�ndert, der schlaksige Junge, der vor acht Jahren noch ziemlich verlassen auf dem M�nchner Filmfest herumstand - scheu be�ugt von drei oder vier M�dchen, die sich fragten, wer der h�bsche Unbekannte wohl sei. Leonardo DiCaprio wirkt gr��er als damals - und gr��er als in seinen Filmen, was f�r Schauspieler durchaus selten ist. Sein H�ndedruck ist unerwartet kr�ftig, und den Brustkorb k�nnte man, nach all den Fitnessstudio-Qualen. die Martin Scorsese ihm verordnet hat, durchaus als breit bezeichnen. Schluss mit dem Teenie-Wahnsinn, sagen auch die straff nach hinten gek�mmten Haare und der ernste Gesichtsausdruck: Hier spricht ein Mann - das kann man in Martin Scorsese's 'Gangs of New York' erleben, heute zum Abschluss der Berlinale, n�chste Woche im Kino. Andrerseits wirkt DiCaprio am�siert und etwas entr�ckt - als k�nne er trotz allem nicht fassen, was f�r absurde Dinge in seinem Leben schon passiert sind. Mr. DiCaprio, kann es sein, dass Sie in der High School im Fach Geschichte irgendwie besonders aufgefallen sind? Hhmm, schon m�glich. Wie kommen Sie darauf? Nun, es f�llt auf, dass historische Stoffe Sie offensichtlich in Fahrt bringen. Sie haben den Poeten Rimbaud gespielt, Shakespeares Romeo, Louis XVI. von Frankreich, einen jungen Mann an Bord eines sehr ber�hmten Schiffes... Und gerade k�nnen Sie mich als ber�hmten Hochstapler aus den Sechzigern sehen, oder als K�mpfer in den Bandenkriegen den 19. Jahrhunderts.... Und die Rollen, die ich demn�chst spielen will: Alexander der Gro�e, Howard Hughes, der Hollywood-Tycoon. Ja, ich glaube, Geschichte ist mein Ding. Und alles beginnt mit dem jungen Leonardo, der mit gro�en Augen den Taten ber�hmter M�nner lauscht. So ungef�hr. Ich kann meinen Eltern gar nicht genug daf�r danken, dass sie mein Interesse an diesen Dingen geweckt haben. Sie haben mich in Museen mitgenommen, mir von gro�en K�nstlern erz�hlt und mir aus Geschichtsb�chern vorgelesen. Sp�ter hat meine Mutter mich jeden Tag zwei Stunden durch Los Angeles gefahren, zur besten Schule, die sie finden konnte. Was fasziniert Sie an vergangenen Zeiten? Ganz pr�zise kann ich es auch nicht sagen. Ich lese viele Filmstoffe, und manche Dinge, die wirklich passiert sind, finde ich einfach spannender und unglaublicher als Dinge, die Autoren sich ausgedacht haben. Wenn Sie sich jedenfalls vorstellen, 'Gangs of New York' und 'Catch Me If You Can' w�ren keine realen Geschichten, das alles h�tte nie stattgefunden - dann kommt einfach nicht dasselbe Gef�hl r�ber. Stellen Sie sich kurz vor, Sie h�tten eine Zeitmaschine im Keller. Welche Epoche w�rden Sie als erstes besuchen? Nat�rlich w�rde ich zun�chst in den 'Five Points' vorbeischauen - dort, wo 'Gangs of New York' spielt. New York City, Mitte des 19. Jahrhunderts. Martin Scorsese hat das ja alles genau recherchiert: ein Sumpfloch. Ein Slum. H�tten, die beinah im Schlamm versunken sind. Ein Geruch wie die H�lle. Kein Wunder, dass dort nur die Gangs und die �rmsten Einwanderer hausten - niemand wollte dort leben. Erst nach den gro�en Krawallen, die am Ende des Films vorkommen, hat man angefangen, die Stadt in Stein wieder aufzubauen. Eine sehr h�ssliche und brutale Zeit in der Geschichte Amerikas. Eine Zeit, die in den Schulb�chern, wo wir alles lieber glorifizieren, gern verschwiegen wird. Das sollte man auf jeden Fall gesehen haben. Wie lange h�tten Sie, als Leonardo DiCaprio, in dieser H�lle �berlebt? Schwer zu sagen. Bestimmte Dinge, die ich beim Dreh von 'Gangs' gelernt habe - Klauen, Pr�geln, K�mpfen, gezielte Messerstiche - w�rden mir wahrscheinlich weiterhelfen. In dieser Welt warst du Taschendieb, Kleinkrimineller, Gangmitglied. Oder eine Ratte, die vor anderen auf der Flucht war. Man entdeckt ganz unbekannte Seiten an sich selbst, wenn es ums �berleben geht. Und deshalb meine ich, dass wir heute trotz allem in einer guten Epoche leben. Eine weitere �ra, die Sie gern besuchen w�rden? Die Zeit Alexanders des Gro�en - die Rolle, auf die ich mich gerade vorbereite. Er fasziniert mich, weil er in ein paar Jahren wirklich die ganze Welt erobert hat - fast alles jedenfalls, was damals bekannt war. Davor hat niemand �ber den Rand seines Landes hinausgeschaut, danach war die Welt praktisch globalisiert. Baz Luhrmann, der bei diesem Film Ihr Regisseur sein wird, hat eine interessante These: Er sieht Alexander als Erfinder der Pers�nlichkeitskults. Sehr richtig. Der Mann war der erste Weltstar. Dann wisen Sie ja, wie Sie ihn spielen m�ssen. Langsam. Ich k�me nie darauf, meine Taten mit denen Alexanders zu vergleichen. Alles, was ich je getan habe, war an Bord eines bestimmten Schiffes zu gehen, das gesunken ist... Andrerseits gab es zu einer bestimmten Zeit sicherlich mehr - sagen wir - Bildnisse von Ihnen auf der Welt als von Alexander dem Gro�en. Da bin ich mir nicht so sicher. Man hat sein Profil auf M�nzen gepr�gt, Bilder und Mosaike seiner Siege angefertigt. Es war ein Pers�nlichkeitskult. Er war der Weltstar seiner Zeit. In Ihrer Epoche wiederum wurden Friseure in Kabul ins Gef�ngnis geworfen, weil sie einen Leonardo-DiCaprio-Haarschnitt verkauft hatten. Das war, wohlgemerkt, noch zu Zeiten des glorreichen Taliban-Regimes. Wissen Sie was? Ich kann mir vorstellen, wie Sie reagiert haben, als Sie diese Geschichte h�rten. Diese Geschichte ist bizarr, egal ob man Leonardo DiCaprio hei�t, oder.... wie war doch gleich Ihr Name? Mit mir, wie ich mich kenne, hat diese Geschichte nichts zu tun. Nicht das Geringste. Aber trotzdem gehen doch solche Sachen nicht spurlos vor�ber. Haben Sie in Ihren Studien Alexanders entdeckt, ob er vom Ruhm korrumpiert wurde? Allerdings ! Am Ende war er wie Ikarus, er kam der Sonne immer n�her, er musste abst�rzen. Und dann seine Erziehung, das konnte ja nicht gut gehen. Unsereins hat vielleicht Mr. Smith als Lehrer - er hatte Aristoteles. Und seine Mutter hat ihm schon als Kind erz�hlt, dass er direkt von Achilles abstammt, und dass er ein Sohn des Zeus sei. Finden Sie es verwunderlich, dass man da ein gewisses Ego entwickelt? Er war einfach ein Shooting Star, er brannte heller als jeder andere Mensch seiner Zeit, und irgendwann musste er vergl�hen. Er wurde auch nur 33 Jahre alt. Wie schafft man es als Shooting Star, nicht allzu schnell zu vergl�hen? Also erstmal: Irgendwann vergl�ht jeder. Nicht nur Stars, sondern wir alle. Wir sind f�r eine begrenzte Zeit auf dieser Erde. Wir brennen aus. Dann allerdings, auf einer weniger dramatischen Ebene, habe ich etwas Intressantes entdeckt: Menschen, die ein bestimmtes Gesicht zu oft sehen m�ssen, werden irgendwann bei seinem Anblick von �belkeit gepackt. Leider war es mein eigenes Gesicht, bei dem ich das feststellen musste. Zuerst dachte ich, wenn ich vielleicht gar nichts tue, wird mein Gesicht nicht mehr auftauchen. Aber nichts da: Je weniger ich tat, desto absurder wurden die Dinge, die ich angeblich getan haben sollte. Am Ende hilft nur eine Regel: Wenn du keinen Film hast, musst du dich tot stellen. Keine Interviews, keine Parties, gar nichts. Du bist wie vom Erdboden verschluckt. Nur so kannst du ein Geheimnis wahren, das dir erlaubt, glaubw�rdig hinter einer Rolle zu verschwinden. Aber kann ein Image nicht auch n�tzlich sein? Wenn Sie bei Spielberg Frank Abagnale geben, diesen unschuldigen Playboy aus den Sixties - half da nicht Ihr Ruf, selbst ein Playboy zu sein? Also manchmal w�nsche ich mir ja selbst, alles w�re wahr gewesen, was Sie �ber mein Leben als Partyboy gelesen haben. Leider stimmt nicht einmal ein Bruchteil davon. An einem gewissen Punkt konnte ich bei meiner Oma zuhause im Lehnstuhl sitzen, und am n�chsten Tag stand �berall, wie wild ich es wieder getrieben hatte. Es war ein bisschen traurig zu sehen, dass man keinen Einfluss darauf hat. Nicht den geringsten. Aber inzwischen habe ich kein Bed�rfnis mehr, auf die B�hne der Welt zu treten und zu sagen: Seht her, so bin ich wirklich ! Dies ist der wahre DiCaprio ! Es funktioniert sowieso nicht. Umso wichtiger also die Welt, die Sie Ihren Eltern verdanken: Kunst, Geschichte, Musik. Liegt da Ihre Rettung? Ganz sicher. Da lag sie schon immer.
Das Interview f�hrte Tobias Kniebe. *
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